Wir veröffentlichen den Erfahrungsbericht einer Genossin.
Flensburg im April 2019. Mal wieder ein Prozess vorm Landgericht Flensburg. Es geht um die Räumung der Luftschlossfabrik und deren Verteidigung mit Feuerwerk auf einen gepanzerten Polizisten. Die vorsitzende Richterin Bauer hatte ein paar Monate zuvor bereits einen Freund verurteilt, weil er abends mit einem Handwagen in der Fußgängerzone vor einem Polizeiauto herumstand und sich nicht wegbewegen wollte (es war immer noch eine Fußgängerzone). Die Polizei hatte sich eine Beleidigung ausgedacht und der Handkarren wäre ein Nötigungsmittel – fertig ist die Verurteilung. Bei dem Prozess waren am ersten Verhandlungstag zwei Menschen für 24 Stunden in Ordnungshaft gelandet, weil sie nicht aufstanden. Bei der Verurteilung erhob sich der Angeklagte, aber mit dem Rücken zum Gericht. Er wurde für 24 Stunden Ordnungshaft in den Knast nach Kiel verbracht (obwohl auch einer nebenan gewesen wäre).
Dieses Verhalten war bekannt, als wir uns mit vier Personen am ersten Verhandlungstag des Luftschlossfabrik-Prozesses nicht erhoben. Aber wir hatten uns entschlossen, gerade dieser Richterin den Respekt zu verweigern, die täglich Menschen einsperren lässt, auch wenn diese sich nur weigern, ihre Autorität anzuerkennen. Eine andere Person erklärte später dazu: „Das Aufstehen vor Gericht steht symbolisch für eine untertänige Gesinnung und ein obrigkeitsstaatliches Verständnis, das längst nicht mehr zeitgemäß ist. Wer Ehrenrituale erzwingen will, hat echte gegenseitige Achtung zwischen Menschen eigentlich sowieso nicht verstanden. Wenn sinnloser zeremonieller Gehorsam oder die Eitelkeit einer schwerst beleidigten Autoritätsperson dann auch noch wichtiger sein soll als die Freiheit eines Menschen, ist jede Verhältnismäßigkeit verloren. Wo Gehorsam und Unterwerfung so weit hochgehalten werden, wird auch noch fügsam zugesehen, wenn die Nachbar*in deportiert wird und mitgemacht, wenn ein Diktator Schießbefehl gibt. Bevor es dahin kommt, bleib ich lieber jetzt schon sitzen.“ Weil Gerichte keine Freiheit sichern, sondern im Gegenteil diese tagtäglich Menschen nehmen und echter Freiheit einfach nur im Weg stehen, war es auch mir wichtig, keinen Respekt zu zeigen und sitzen zu bleiben.
Die Justizwachtmeister*innen staunten und raunten: „Die stehen wohl auf Ordnungshaft“, die haben das mit den politischen Überzeugungen nicht verstanden. Wir landeten einen Tag in Ordnungshaft, ohne dass uns Gelegenheit gegeben wurde, uns dazu zu äußern. Ich versuchte eine Verteidigung zu beantragen, wurde von der Richterin unterbrochen und abgeführt, direkt aus dem Gerichtssaal in die Zelle.
Die Zelle im Gericht war unspektakulär: Tisch, Stuhl, Toilette, Waschbecken und ein Flensburg Journal. Nur das auf den Rufknopf (den einzigen den es in der Zelle gibt) über 2,5 Stunden niemand reagierte, machte mich ein bisschen nachdenklich: Was wenn es einen Notfall gäbe und ich nicht nur telefonieren wollen würde? Die umgehende Benachrichtigung einer Vertrauensperson über meine Inhaftierung hätte mir theoretisch juristisch auch zugestanden genauso wie ein Mittagessen, aber dass Gerichte, Justiz und Polizei sich an Grundrechte nicht halten, überrascht mich nun wirklich nicht mehr.
Mehrere Stunden später ging es dann im Gefangenentransporter nach Lübeck, was ganz okay war, da wir mit drei von uns zusammen dort saßen, uns über die unterschiedlichen Zelleneinrichtungen im Gericht austauschen und uns versprechen konnten uns gegenseitig Briefe zu schreiben (in Reimform). Die Zelle hinten im Wagen war nach vorne hin allerdings fast vollständig dicht, was dazu führte, dass die Luft dort am Ende schon ziemlich knapp wurde. Trotzdem waren wir so zusammen glücklicher als allein.
Getrennt wurden wir dann im Knast nach mehreren Sicherheitsschleusen aus dem Gefangenentransporter geholt, ich als letztes. Beim Warten winkte ich einer Eingesperrten schüchtern zu, sie lächelte zurück – angenehmer als der Kontakt mit den Uniformierten, die uns durch die Gegend führten – da beschränkte ich den Kontakt auf ein Minimum. Es gab Knastkleidung (einen grauen Jogginganzug), ne Zahnbürste, Bettwäsche, Tee, Brot und Marmelade, auf Nachfrage auch Zettel und Stift. Außerdem durfte ich meine Armbanduhr behalten und ein Buch aus meinem Rucksack haben, nur eins, weil ich nur einen Tag bleiben würde, so die Beamtin zu diesem Zeitpunkt.
Telefonieren durfte ich dann später, als das in den Zeitplan passte, nach etwa neun eingesperrten Stunden (soviel zu „unverzüglich“). Am Telefon erfuhr ich von einer Freundin, dass es einen zweiten Beschluss gäbe, mich einen zweiten Tag einzusperren – der Grund dafür: Dass ich versucht hatte eine Verteidigung zu beantragen. Den Tag mehr musste ich dann in den nachfolgenden Stunden auch erst mal verarbeiten und tat das mit der Betrachtung als großes Kunstwerk: 24 weitere Stunden Knast für einen Antrag auf Verteidigung. Ich weiß warum ich nichts vom Rechtsstaat halte.
Ich behielt die Info erst mal für mich, von Seiten der Polizei oder Justiz war mir nie ein weiterer Tag mitgeteilt worden und ich war gespannt, wann das denn passieren würde. Am Rande bekam ich Gespräche von den Justizwachteln mit, die sich darüber unterhielten, dass eine von uns drei Personen (im Frauenknast) zwei Tage bekommen solle, aber wer wussten sie nicht. Auch am nächsten Morgen nicht, als um 6.40 Uhr bei mir in die Zellen geschaut wurde und ich gefragt wurde, ob ich vor meiner Entlassung noch duschen wolle – ich lächelte auf die Frage nur zynisch. Da in der Eingangszelle in der ich untergebracht war, eine Dusche war, hatte ich mich damit schon am Abend vorher beschäftigt (nachdem klar war, dass vermutlich niemand mehr in die Zelle kommt).
Um kurz vor 10, als die 24 Stunden um waren, kam eine Beamtin in meine Zelle um mich zur Ärztin zu bringen. Kein Wort davon, dass ich noch bleiben müsse, keine Aushändigung eines Ordnungshaft-Beschlusses (obwohl ich genau diese am Abend zuvor beantragt hatte). Einfach Abarbeitung, ich werde schon wissen, warum ich denn hier sei. In Artikel 5 der europäischen Menschenrechtskonvention steht, dass jede Festgenommene darüber belehrt werden muss, warum sie festgenommen wurde. Über den in meiner Abwesenheit verkündeten Beschluss hatte ich nicht mal die Chance irgendetwas zu erfahren, hätte ich nicht zufällig telefoniert, hätte ich vom zweiten Hafttag in dem Moment erfahren, wo ich erwartet hätte, frei zu kommen.
Der zweite Tag war die realistischere Knast-Erfahrung: Ich war weitere 24 Stunden eingesperrt, davon über 22 allein in meiner Zelle. Das gesetzliche Minimum an einer Stunde Hofgang gab es dann am Nachmittag, außerdem noch ein Gang zur Ärztin (die mich 24 Stunden nach der Festnahme fragte, ob ich Alkohlentzug zu erwarten hätte), zu Entlassungformalitäten und zum Mittagessen abholen (essen in der Zelle).
Ein Tag mit angespannter Langeweile, das allein sein machte mir zu schaffen. Um nicht durchzudrehen und an die Türen zu trommeln, saugte ich jeden Eindruck begierig auf, beispielsweise, wenn sich vor dem Zellenfenster an der Tür zum Haus etwas bewegte. Viel davon gab es nicht. Die Anspannung wich nicht von mir, die Tatsache eingesperrt und ausgeliefert zu sein, konnte ich einfach nicht vergessen, sodass es schwieriger als sonst war, sich auf ein Buch zu konzentrieren. Immer wieder dichtete ich an meinen Briefen (der Auftrag aus dem Gefangenentransporter), sang und tanzte trotzig (was mir auch in jeder Polizeizelle Kraft gibt). Ich schaute auf den kleinen Fleck hellgrünen Rasen vorm Stacheldraht, den ich schräg aus dem Fenster sehen konnte und immer wieder auf die fliegenden Raben und Möwen über den Stacheldraht um mich nach draußen an den Strand zu träumen. Das Fenster auflassen war zwar kalt, aber dann hörte ich die Vögel draußen und nicht nur Türen schlagen und Schlüssel klappern (was mir immer bewusst macht wo ich bin) – und Vögel singen von Freiheit.
Bei der Entlassung musste ich dann fast lachen, ich weigerte mich zu unterschreiben, dass ich mein Zeug wieder bekommen habe (schließlich hatte ich auch nicht zugestimmt, dass sie es mir wegnehmen), als eine von den Wachtmeister*innen meinte, dass ich es mir auch einfacher machen könnte. Ja, ich hätte einfach aufstehen können und auf Verteidigung verzichten und die Gerichtautorität akzeptieren können.
Aber irgendwie kann ich das nicht, weil das hieße ihre Autorität zu akzeptieren, und bin auch beim nächsten Prozesstag sitzen geblieben, zusammen mit acht anderen Menschen. Die Richterin änderte ihre Strategie und verhängte 200 Euro Ordnungsgeld oder ersatzweise vier Tage Haft für jede*n von uns, zusätzlich zu einem Hausverbot. Sie meint wohl, wenn ein Tag Haft uns nicht abschreckt, dann wohl das Finanzielle oder die Drohung mit noch mehr Knast.
Da das mit dem Geld zahlen aber auch eine Art Akzeptanz für das Gericht ausdrücken würde, kann ich das wohl nicht und werde demnächst weitere vier Tage im Knast in Lübeck verbringen. Ich weiß dabei, dass ich privilegiert bin, denn ich treffe die Entscheidung selbst, viele andere die dort sitzen nicht. Für mich ist es nach wenigen Tagen vorbei, andere müssen Jahre dort verbringen und das erzeugt natürlich nochmal viel mehr Einschränkungen und Probleme, sei es dass die sozialen Kontakte wegbrechen oder dass ein Leben danach draußen mit der Masse an Sinneseindrücken schwierig wird. Es gibt viele Gründe, Knäste grundsätzlich zu bekämpfen.
Gerade deswegen habe ich keinen Respekt vor Richterin Bauer oder anderen Richter*innen, die täglich Menschen wegsperren lassen. Na klar hab ich Angst, aber ich bin mir auch sicher: Sie können uns einsperren, aber nicht brechen und niemals zwingen, diesen Staat zu lieben. Und am Ende werden es hoffentlich ihre Knäste sein, die einstürzen.