Abschreiben und abstempeln

Warum eine schlechte Studie über die Rote Hilfe dennoch sehr lesenswert ist.

Wir dokumentieren einen Text von Markus Mohr, veröffentlicht am 16.11.19 im neuen deutschland

Im Januar 2019 promovierte die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften (!) der TU Chemnitz Robin Feber für eine Schrift zur Roten Hilfe zum »doctor rerum politicarum«. Betreut wurde die Arbeit von Ludwig Gramlich, einem Professor für Öffentliches Recht und Wirtschaftsrecht, der bislang weder als Historiker noch Politologe hervorgetreten ist. Der unorthodoxe Mikroökonom Prof. Dr. Fritz Helmedag – manchen als Doktorvater Sahra Wagenknechts bekannt – mag einem solchen politologisch-historischen Gegenstand näher stehen, war hier aber nur drittinstanzlich eingebunden. Spiritus Rector der Arbeit, die nach einer Mitteilung von Prof. Gramlich nicht »direkt im Rahmen des Studiums entstanden« oder von ihm »geweckt worden« sei, sondern auf »Überlegungen« von Feber selbst beruhe, ist aber spürbar der Zweitgutachter – nämlich der Politologe Uwe Backes, der an der TU Dresden eine außerplanmäßige Professur für »vergleichende Diktaturforschung« bekleidet und stellvertretender Direktor jenes Institutes für Totalitarismusforschung ist, das Hannah Arendts Namen beansprucht.

Da wundert es nicht, dass die Arbeit ganz im Geist jener dort vertretenen Extremismusdoktrin gehalten ist, die seit jeher dazu neigt, gesellschaftliche Wirklichkeit anhand eines mehr oder minder starren Kriterienkatalogs durchzuchecken: eine Methode, die in der jüngeren Politik- wie Geschichtswissenschaft viel kritisiert worden ist, weil sie in ihrer deduktiven Grundausrichtung die Vielgestaltigkeit von Geschichte planiert und ihr die tautologische Tendenz innewohnt, am Ende bloß die eigenen Prämissen zu beweisen. Erstaunlich – und aus wissenschaftlicher Perspektive interessant – ist die Arbeit daher vor allem, weil sie unfreiwillig drastisch zeigt, auf welchem Niveau in solcher Tradition stehende Texte inzwischen offenbar zuweilen ankommen können: demjenigen nämlich einer raunenden Verdächtigungsliteratur, die kaum ihren eigenen Standards gerecht wird.

So sieht zwar auch der Autor ein, dass »Extremismus« nicht so genau zu messen sei »wie beispielsweise der Alkoholgehalt im Bier«. Die Arbeit verspricht, »nicht pauschal politisch gegen links argumentieren« zu wollen. Nichtsdestotrotz könne »die Rote Hilfe auf Basis der normativen Extremismustheorie entsprechend ihres (anti-)demokratischen Charakters« bewertet und »ein eventuell existierender Linksextremismus entlarvt« werden, der »demokratisch-linke Argumentationen missbraucht, um seine eigenen extremistischen Inhalte zu legitimieren und zu verbreiten«.

Die Entlarvung als Methode

Man schluckt schon ein wenig ob dieser – ungelenken, formulierungsschwachen, aber das sei geschenkt – Rhetorik der »Entlarvung«, die man doch eher im Bereich der Talkshowpolemik oder Boulevardpresse verortet als im Feld historischer und politischer Wissenschaft. Was den Text aber zum Skandälchen erhebt, ist – erstens – ein lustloser Gestus eiligen Zusammenklaubens, der zu einer Vielzahl von Fehlern und Ungenauigkeiten in der Darstellung führt. So besteht ein Kapitel, das einen Abriss zur Roten Hilfe Deutschlands (RHD) zwischen 1924 und 1936 verspricht, im Wesentlichen aus Übernahmen aus Nikolaus Brauns’ 2003 erschienener Dissertation »Schafft Rote Hilfe!«. Feber zitiert das grundlegende Buch des linken Historikers auf zwölf Seiten 21 Mal zustimmend im Text – und führt es in nicht weniger als 55 der hier 87 Fußnoten an. Seite 49 in Febers Text schießt mit, sage und schreibe, zehn Übernahmen den Vogel ab.

Auch der vom Rezensenten 2013 herausgegebene Band »Prinzip Solidarität« und das aus dem Projekt »Prinzip Solidarität« hervorgegangene Buch Hartmut Rübners von 2012 – »Die Solidarität organisieren« – werden geradezu geplündert. Feber erhebt den Anspruch, einen Durchgang durch die letzten 50 Jahre der Geschichte der Roten Hilfe in der Bundesrepublik zu liefern, doch machen die 1970er Jahre – gut erforscht durch vorgenannte Arbeiten – fast zwei Drittel des Textes aus. Von knapp 400 Zitathinweisen aus den Zeitungen der Roten Hilfe – die vielen Broschüren der drei Roten Hilfen aus der 1970er-Dekade werden mit einer Ausnahme nicht zur Kenntnis genommen – entfällt knapp die Hälfte auf die Zeit zwischen 1971 und 1980. Aber sagen denn die 1970er schon alles über die folgenden 40 Jahre?

Andere die Arbeit machen lassen, um dann in einer feindlichen Übernahme den Extremismusstempel zur Hand zu nehmen und »normativ« den Daumen zu senken: Das ist die eine Seite der Methode eines Buches, dessen Verfasser sich nun Doktor nennen darf. Hinzu kommt – wohlwollend betrachtet – massive Schlamperei: So findet sich die ausführlich zitierte Zeitung der RHD weder im Quellen- noch im Literaturverzeichnis. Nun erschien dieselbe ab 1979 nur noch als vierseitiges Mitteilungsblatt für Mitglieder. Erst 1987 wurde von der dann in RH e.V. umbenannten Organisation wieder eine für Außenstehende erhältliche Zeitung vertrieben. Wo nun Feber diese Mitteilungsblätter aus den Jahren 1979 bis 1986 eingesehen hat, bleibt unklar. Ein Archiv, in dem das Publikum das Dargelegte anhand der Quellen nachvollziehen könnte – und um nichts anderes geht es schließlich bei akademischen Qualifikationsarbeiten – wird nicht angegeben. So spielt Feber ausgerechnet hinsichtlich seines zentralen Quellenkorpus’ mit der Leserschaft Blinde Kuh.

Dass die Arbeit in ihrer Anlage auf ein Abstempeln und nicht ein Untersuchen zielt, schlägt sich in einer Vielzahl von Fehlern, Widersprüchen und Ungereimtheiten nieder. So soll sich die der KPD/AO nahestehende Rote Hilfe e.V. (RHeV) gleich zweimal gegründet haben: 1970 und dann wieder 1973, ohne dass sie sich dazwischen aufgelöst hätte. Verblüfft registriert man die Behauptung, dass nach den 1970ern auch in den »1980er Jahren (…) die Existenz von mindestens drei unabhängigen« Organisationen der Roten Hilfe »nachweisbar« sei – das hatte bislang noch niemand bemerkt. Und ähnlich faktenstark ist beispielsweise für das Jahr 1995 mal von 1500 Mitgliedern die Rede und mal von »noch 920«.

Bezeichnend für dieses Konvolut von Intransparenz, Pfusch und Abkupferei sind – zweitens – falsche Tatsachenbehauptungen, die dann die Ausgangspunkte weitreichender politischer Folgerungen bilden. So stuft Feber die Rote Hilfe, die auch »Linksextremisten« unterstütze, insgesamt als »legale, aber teilweise illegal auftretende Organisation« ein – weil etwa seitens der heutigen RH »jegliche Gewalt gegen Polizisten (…) begrüßt« werde. Konkrete Quelle? Fehlanzeige. Der Gipfel ist indes die gleich zweifach unbelegt vorgebrachte Wahrheit, dass »die Rote Hilfe Straftäter auch unterstützt, um diese nach Verbüßen der Strafe wieder in den ›Kampf‹ zurückzuführen«. Hier wird eine gemutmaßte Intention als erwiesene Tatsache präsentiert – ganz so, als verlange die Rote Hilfe denen, die sie unterstützt, in der Art der Jobcenter eine Wiedereingliederungsvereinbarung in einen Arbeitsmarkt für Politstraftäter ab. Dabei weiß Feber selbst, dass die Organisation dafür keinerlei Handhabe hätte, schon gar keine vertragliche.

Hart am Rande des Presserechts

Vermuten lässt sich allerdings – und hier wird diese wissenschaftliche Malaise auf 308 Seiten dann politisch höchst interessant -, dass diese Unterstellung aus einem Text des Journalisten Josef Hufelschulte übernommen wurde, auch wenn der betreffende Artikel wiederum im Literaturverzeichnis der Arbeit nicht aufgeführt wird. Wohlweislich? Es gäbe dafür zumindest einen sehr handfesten Grund. Denn gegen Hufelschultes Ende 2018 im »Focus« publizierte Behauptung, die »Delinquenten« dürften als »Gegenleistung« für die erfahrene Solidarität der Roten Hilfe nicht nur »keine Aussagen bei der Polizei machen«, sondern müssten sich darüber hinaus »verpflichten«, auch »nach verbüßter Strafhaft den ›revolutionären Straßenkampf‹ fortzusetzen«, wurde vom Bundesvorstand der Roten Hilfe eine einstweilige Verfügung erwirkt, die Ende Februar 2019 rechtskräftig geworden ist.

Schwer zu glauben, dass dies Feber unbekannt war. Im Text verweist er selbst darauf, dass »im Dezember 2018 (…) diverse Medien (u.a. Focus und TAZ)« berichteten, dass das Innenministerium auch aufgrund solcher Behauptungen »aktuell ein Verbot der Roten Hilfe« prüfe. In der betreffenden Fußnote wird dann aber nur der »taz«-Artikel erwähnt, nicht der mit jener Verfügung belegte aus dem »Focus«. Dabei führt der letzte Internetlink im Text von Ende März 2019 sogar auf eine Pressemitteilung des RH-Bundesvorstandes zu jener Verfügung in der Hufelschulte-Causa.

Hart an der Grenze des Presserechts werden hier Vorverurteilungen in gravierende Aussagen über eine »teilweise illegal« auftretende »Organisationsform der Roten Hilfe« gegossen, um ein »aktuelles Gefahrenpotenzial« herbeizuschreiben – ein Vorgehen, das kaum mit einer Promotionsurkunde hätte honoriert werden dürfen. Eine gerichtsnotorische Falschbehauptung wird, leicht abgewandelt, als Wissenschaft verhökert: um zu sehen, was dann passiert?

Diese Behauptungen des »Entlarvers« sind kaum als etwas anderes zu deuten denn als Fanfaren eines politischen Verbotsverfahrens, als dessen Minenhund Robin Feber hier agiert. Vielleicht wird man noch hören von diesem jungen Doktor der politisierten Wissenschaft. Denn solche Verfahren brauchen stets allerlei »Experten« – und als solcher darf sich Feber nun, da seine in ein Verdikt von »Extremismus« mündende »Bewertung der Organisation hinsichtlich der Einhaltung demokratischer Minimalbedingungen« als zitierfähig geadelt ist, allemal verdingen.


Robin Feber: Die Rote Hilfe e. V. Eine Bewertung der Organisation hinsichtlich der Einhaltung demokratischer Minimalbedingungen. Verlag Dr. Kova, brosch., 308 S., 98 €.

Der Autor Markus Mohr ist Publizist. 2013 gab er im Rahmen des Projekts Bambule im Laika-Verlag den Titel »Das Prinzip Solidarität. Zur Geschichte der Roten Hilfe in der BRD« in zwei Bänden heraus.