Wir dokumentieren einen Aufruf zur Soli-Demo am Donnerstag, 6.6.2013 um 18 Uhr Vinetaplatz Kiel-Gaarden:
Solidarität mit den sozialen Kämpfen in Frankfurt, Istanbul, weltweit!
Massive Repression gegen antikapitalistische Aktionstage in Frankfurt
Am vergangenen Wochenende beteiligten sich am 30. Mai und am 1. Juni 2013 insgesamt bis zu 20.000 Menschen an den Blockupy-Aktionstagen in Frankfurt (Main). Diese richteten sich wiederholt gegen die autoritäre Sparzwangspolitik des deutsch-europäischen Krisenregimes der Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) und traten für eine solidarische Gesellschaftsperspektive jenseits einer solchen technokratischen Verwaltung des krisenhaften Kapitalismus ein.
Wie schon bei früheren Krisenprotesten kam es zu massiven und gezielten Behinderungen und Angriffen der Polizei gegen die Aktionen in Frankfurt, wo mit der EZB eine tragende Säule der systematischen Troika-Verarmungspolitik ihren Sitz hat, die zur Zeit riesige Bevölkerungsteile ökonomisch schwächerer EU-Staaten, insbesondere Griechenlands, an den Rand ihrer Existenz drängt. Ihren Höhepunkt erreichten die Schikanen und die Gewalt gegen Demonstrierende am Samstag, als der antikapitalistische Block der Blockupy-Bündnisdemo unter Vorwänden gestoppt, angegriffen, bis zu neun Stunden eingekesselt, kontrolliert und schlussendlich aufgelöst wurde.
Abermals wurde auf diese Weise durch staatliches Kalkül verhindert, dass antikapitalistischer Widerstand direkt vor die Haustür der EZB getragen werden konnte. Es ist offensichtlich, dass die Polizei dies von vorn herein geplant hatte und politischen Vorgaben folgte. Ein Versuch der Stadtverwaltung, die Demoroute entlang der EZB zu verbieten und das Demonstrationsrecht schon auf bürokratischem Wege auszuhebeln, war in den Tagen zuvor von den Gerichten abgewiesen worden.
Insgesamt wurden durch Pfeffersprayeinsätze und Knüppelschläge der Polizei 200 Menschen verletzt.
Landesweiter Aufstand gegen autoritäres Erdogan-Regime in der Türkei
Zeitgleich zu den Ereignissen in Frankfurt war es eine ähnliche repressive Strategie im Umgang mit unliebsamen Protestbewegungen in ihrer brutalen Zuspitzung, die zum Auslöser einer Widerstandswelle in der türkischen Metropole Istanbul wurde, die sich binnen weniger Stunden zu einem landesweiten Aufstand gegen die islamisch-konservative AKP-Regierung des Präsidenten Erdogan ausweitete. Die Polizei hatte am Freitag bei der brutalen Räumung eines Besetzer_innen-Camps von tausenden Anwohner_innen gegen die Zerstörung einer der wenigen verbliebenen Grünflächen im Zentrum Istanbuls mehrere Menschen lebensgefährlich verletzt. Unmittelbar nach der brutalen Räumung des Gezi-Parks, der dem geplanten Bau eines Einkaufzentrums weichen soll, gingen noch am selben Abend in Istanbul und anderen türkischen Städten spontan zehntausende Menschen gegen Polizeigewalt auf die Straße. In der Nacht kam es zu schweren Kämpfen mit der Polizei, die den ganzen Samstag über andauerten. Am Nachmittag konnten Gezi-Park und der zentrale Taksim-Platz von den Demonstrant_innen zurückerobert und die Polizei vertrieben werden. Der hohe Preis dafür waren tausende verletzte, hunderte inhaftierte und bis zum heutigen Tage mindestens zwei, vielleicht sogar fünf während der Auseinandersetzungen getötete Aktivist_innen.
Schnell richtete sich die Wut der Demonstrant_innen nicht mehr nur gegen die Polizeiübergriffe und die städtische Verdrängungspolitik in Istanbul. Vielmehr war die brutale Räumung des Gezi-Parks nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Seit zehn Jahren regiert das Erdogan-Regime mittlerweile mit autoritärer Hand über die Türkei und ist verantwortlich für einen stetig angewachsenen Einfluss der Religion auf das gesellschaftliche Leben, für zahlreiche Gesetzesverschärfungen und den Abbau von Grundrechten sowie für die Unterdrückung jeglicher politischer Opposition, allen voran der linken und der kurdischen. Nicht zufällig sind aktuell in keinem anderen Land so viele Journalist_innen wegen kritischer Berichterstattungen in Gefängnissen eingesperrt wie in der Türkei.
Die Aufstandsbewegung gegen das Erdogan-Regime dauert bis heute, auch noch Tage nach ihrem explosionsartigen Aufkommen, weiter an und findet derweil bei Zigtausenden auf den Straßen in über 60 türkischen Städten Widerhall, am stärksten mittlerweile in der Hauptstadt Ankara. Ihr gehören Junge, Alte, Feminist_innen, Gewerkschafter_innen, Umweltaktivist_innen, Oppositionelle, Linke, Fußballfans und viele andere an. Ihre Aktionsformen umfassen öffentliche Versammlungen aller Art, konfrontative Aktionen gegen die Polizei genauso wie individuelle Solidaritätsbekundungen und Widerstandsakte. Einig sind alle Beteiligten sich darin, dass sie das autoritäre und unterdrückerische Regime Erdogan stürzen wollen – im solidarischen Zusammenspiel der vielen unterschiedlichen Unzufriedenen, die es hervorgebracht hat und denen es weiter mit brutaler Gewalt begegnet.
Vom Main bis zum Bosporus: Unsere Solidarität gegen ihre Repression!
Es ist sicher nicht die Intensität der staatlichen Gewalt und erst Recht nicht das Ausmaß des Widerstandes, das die zufällig zeitgleichen Ereignisse vom Wochenende im Frankfurter Bankenviertel und im Istanbuler Gezi-Park miteinander verbindet. Und doch folgten beide derselben Logik: Wenn Menschen sich zusammenfinden und sich organisieren, um Widerstand gegen als alternativlos propagierte Projekte der Herrschenden zu leisten – sei dies nun im Großen die Rettung einer bankrotten kapitalistischen Ökonomie auf Kosten der Menschen, oder im Kleinen die Errichtung von Konsumtempeln gegen das Bedürfnis von Stadtteilbewohner_innen nach einem Fleck Natur -, müssen sie damit rechnen, dass willige uniformierte Fußtruppen auf sie losgelassen werden, um auch nur den kleinsten Ansatz praktischer Kritik am Bestehenden mit Knüppeln, Pfefferspray, Gas, Wasserwerfern, Räumpanzern und, wenn es sein muss, auch mit scharfer Munition im Keim zu ersticken.
Aber auch etwas ganz anderes eint den Blockupy-Protest und den Aufstand gegen Erdogan, etwas, das uns hoffen lässt: Die Aktivist_innen beiderorts haben sich von der Polizeigewalt nicht einschüchtern lassen, haben sich nicht auseinandertreiben und spalten lassen, sondern haben zusammengestanden. Diese Solidarität unter Verschiedenen mit gemeinsamer Zielsetzung war es, die Blockupy Frankfurt vor einer politischen Niederlage bewahrt hat und dieselbe ist es, die den kämpfenden Menschen in der Türkei die Kraft gegeben hat, am vergangenen Samstag die schwer bewaffneten Bullen aus dem Taksim-Viertel zu jagen und vielleicht schon bald auch Erdogan aus seinem Präsidentenamt.
Wir wollen all den Menschen, die wo auch immer auf dieser Welt gerade für eine lebenswerte Perspektive für alle, für die wahrhaftige Freiheit aller Individuen und ein solidarisches Miteinander kämpfen, allen voran denen in der Türkei, unsere herzlichen solidarischen Grüße zukommen lassen. Wir wollen ihnen auf diesem Wege wenigstens einen Bruchteil von der Kraft zurückgeben, die uns die Nachrichten und Bilder von ihrem Widerstand geben, die uns helfen, uns weiter an die oft rasante und überraschende Veränderbarkeit des allzu oft unveränderlich scheinenden erinnern zu können.
Wir rufen auf zur Teilnahme an der Solidaritäts-Demonstration der Linksjugend [’solid] Kiel gegen Kapitalismus und staatliche Repression.
Polizei – Troika – Erdogan – Scheiße!
Ohne Solidarität kein Widerstand: Zusammen kämpfen für eine globale emanzipatorische Perspektive!
Donnerstag | 6. Juni 2013 | 18 Uhr | Vinetaplatz | Kiel-Gaarden
Aufruf von [’solid] Kiel: https://linksunten.indymedia.org/de/node/87965