Am 16.04.2020 fand vor dem Hamburger Landgericht die Berufungsverhandlung gegen Toto aus Kiel statt. Toto wurde am 06.09.2019 vom Amtsgericht Hamburg zu einer Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten ohne Bewährung verurteilt. Er wurde am Rande einer Spontandemo im Nachklang der von der Polizei gewaltsam zerschlagenen „Welcome To Hell“-Demo am 06.07.2017 während den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg festgenommen. Er soll für einen Flaschenwurf verantwortlich sein. Zudem wurde ihm Widerstand, tätlicher Angriff und versuchte gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Gegen das Urteil legten sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Sie wollte noch ein härteres Urteil erwirken.
Der Berufungsprozess fand nun trotz des Coronavirus-Lockdowns statt. Inmitten von Zeiten, in denen Behörden größtenteils geschlossen sind, das öffentliche Leben lahmgelegt, staatlich verordnete Kontaktverbote zwischen Menschen bestehen und die Hamburger Polizei jegliche politische Versammlung, teilweise gewaltsam, verhindert.
Kundgebung
Da im Voraus bereits bekannt und erwartbar war, dass aufgrund der Corona-Situation nur sehr wenige Unterstützer*innen den Prozess direkt im Saal verfolgen können, wurde eine Kundgebung angemeldet, um Toto auch vor dem Gericht zu unterstützen, Öffentlichkeit herzustellen und einen Anlaufpunkt für Menschen zu gewährleisten, die nicht am Prozess teilnehmen können.
Die Versammlungsbehörde hatte die Kundgebung im Vorfeld für lediglich 10 Menschen genehmigt, obwohl natürlich für die Veranstalter*innen nicht planbar war, wie viele Teilnehmer*innen dem Aufruf folgen würden. Bereits kurz nach dem Beginn der Kundgebung tauchten mehrere Polizeifahrzeuge auf. Die Polizei versuchte die ca. 35-40 Unterstützer*innen von Toto, die zu der öffentlich mobilisierten Aktion kamen, von der Teilnahme an der Kundgebung abzuhalten. Lediglich 10 Aktivist*innen durften mit Transparenten vor dem Gericht stehen, die anderen mussten sich mehrere Meter weit wegbewegen oder auf die andere Straßenseite wechseln. Doch obwohl alle, sowohl „Teilnehmer*innen“ als auch „Umstehende“ die Corona-Sicherheitsabstände (Auflage waren 2m Abstand) einhielten und viele noch zusätzlich einen Mundschutz und Handschuhe trugen, drangsalierte die Polizei immer wieder die Menschen auf der anderen Straßenseite. Schlussendlich wurden Platzverweise erteilt, Ordnungsgelder angedroht und einige Fahnen und Transparente beschlagnahmt. Auch die Personalien von einzelnen Aktivist*innen, die angeblich gegen die Abstände verstoßen hätten, wurden aufgenommen. Um weitere Personalienfeststellungen und Bußgelder zu vermeiden, wurde die Kundgebung nach etwa einer Stunde beendet. Halten wir fest: trotz Anmeldung und Genehmigung einer Kundgebung und dem Angebot, den Infektionsschutz mit Mundschutz und Handschuhen zu erweitern, nutzt die Polizei die „Corona-Krise“ als Vorwand, um legalen Protest einzuschränken oder gar unmöglich zu machen.
Kleiner Hinweis: Falls ihr Bußgelder oder Post von der Polizei oder Staatsanwaltschaft bekommt, wendet euch an die Rote Hilfe e.V. OG Hamburg und Waterkant Antifa.
Der Prozess
Der eigentliche Prozess begann mit einer Stunde Verspätung, da einer der Schöffen verschlafen hatte. Zu Beginn stellte Richter Carsten Engler klar, dass er dem Urteil des Amtsgerichts glauben schenkt und keine Einstellung oder gar ein Freispruch für Toto zu erwarten sei. Sowohl er als auch die Staatsanwaltschaft hatten kein Interesse an einer erneuten Beweisaufnahme, sondern lediglich einer Verhandlung über das Strafmaß. Die Staatsanwaltschaft wollte sich nur auf eine Bewährung einlassen, wenn Toto ein Geständnis ablege und Reue zeige, und nicht nur eine „Geständnisfiktion“. Richter Engler signalisierte jedoch, dass er eventuell einer Bewährung zustimmen könne, wenn Toto und sein Verteidiger Björn Elberling das Urteil des Amtsgerichts nicht anfechten und Toto sich zu seinen persönlichen Verhältnissen äußere.
Nach zwei kurzen Unterbrechungen zur Beratung entschieden sich Toto und seine Verteidigung aus prozesstaktischen Gründen, die „Schuld“ anzuerkennen und die Berufung auf das Strafmaß zu beschränken. Es folgte eine Befragung Totos zu seinen persönlichen Verhältnissen und beruflichen Werdegang. Im Anschluss hielt die Staatsanwältin ihr Plädoyer, in dem sie von der Gefährdung von Polizeibeamten, „abstrakten Gefahrenlagen“ während der Proteste gegen den G20-Gipfel und „generalpräventiven Aspekten“ redete und wie zu erwarten eine Gefängnisstrafe für Toto forderte. Sie bemängelte, dass er kein Geständnis ablegte und und sich nicht zur Tat äußerte.
Der Verteidiger Elberling erwähnte im Plädoyer nochmals die dünne Beweislage und bezweifelte, dass ein (schon als Landfriedensbruch gewerteter) Flaschenwurf in die grobe Richtung eines Wasserwerfers und einer gepanzerten Polizeieinheit überhaupt als versuchte Körperverletzung gewertet werden könne. Für den Vorwurf des Widerstands sei höchstens eine Geldstrafe zu verhängen. Außerdem betonte der Anwalt Totos positive „Sozialprognose“. Da jetzt jedoch lediglich über das Strafmaß verhandelt wurde, beantragte Elberling für seinen Mandanten eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr auf Bewährung. Er betonte im gleichen Atemzug, dass er nach wie vor von der Unschuld von Toto überzeugt sei.
Nach einer weiteren Pause verkündete Richter Engler das Urteil, das er und die zwei Schöffen gefällt hatten: Ein Jahr und zwei Monate auf vier Jahre Bewährung plus 1000€ Geldstrafe zu zahlen an eine soziale Einrichtung, sowie 50% der Prozesskosten. Er hielt Toto seine „positive Sozialprognose“ und die sog. „Geständnisfiktion“ (das nicht-anfechten des Urteils des Amtsgerichts), mit der eine erneute Hauptverhandlung vermieden wurde, zu Gute. Er betonte jedoch auch, dass er Toto für schuldig hält und er nur „haarscharf“ an einer Gefängnisstrafe vorbeigekommen sei. Der Staatsanwältin sah man eindeutig ihr Missfallen am Urteil an.
Trotz dieses für Toto einigermaßen glimpflich ausgegangenen Urteils – er muss nicht ins Gefängnis – ändert es nichts an der Tatsache, dass es sich um ein politisch motiviertes Urteil ohne eindeutige Beweise und voller widersprüchlicher Zeugenaussagen handelt. Dass die Verteidigung von einer erneuten Beweisaufnahme absah, lag lediglich daran, dass Richter und Staatsanwaltschaft von vorneherein klar machten, dass in diesem Fall bei einer erneuten Verurteilung nicht mit einer Bewährungsstrafe zu rechnen sei. Dies machte die Verteidigung am gestrigen Tage zu einer schwierigen Angelegenheit und Toto musste am Ende auf das vorher signalisierte Entgegenkommen des Richters hoffen.
Er hat während des gesamten Prozesses, trotz des immensen Drucks, keine Einlassung, keine Aussagen zur Sache gemacht und sich trotz der Gefahr einer Gefängnisstrafe nicht von der ihm vorgeworfenen, jedoch nicht bewiesenen, Tat distanziert!
„Getroffen hat es Toto, gemeint sind wir Alle“
Trotz einer vierjährigen Bewährungsstrafe ist Toto nun froh, dass der Prozess endlich vorbei ist und eine Gefängnisstrafe abgewendet werden konnte. Die #FreeToto-Soligruppe bedankt sich bei allen Unterstützer*innen, die Toto vor Ort oder anders supportet haben.
Trotz Alledem: Kampf der Klassenjustiz – der Kampf für die befreite Gesellschaft geht weiter!
Diese Verurteilung ist als ein weiterer Angriff auf die gesamte politische Linke zu werten. Getroffen hat es Toto, gemeint sind wir Alle. Wir werden uns weiterhin nicht von Versammlungsverboten, Prozessen und Polizeigewalt einschüchtern lassen. Kämpfen wir für eine Welt ohne Ausbeutung, ohne Unterdrückung und ohne Krieg!
Es wird weiterhin Geld zur Begleichung der Anwalts- und Prozesskosten und der Strafe gesammelt, ihr könnt auf das Soli-Konto bei der Roten Hilfe Kiel überweisen. Die aufgrund von Corona ausgefallene Soli-Party in Kiel wird definitv nachgeholt, um nochmal ordentlich zu feiern.
Bis dahin!
FreeToto-Soligruppe & Rote Hilfe OG Kiel am 17.04.2020
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