Wir dokumentieren einen Prozessbericht der Turbo Klimakampf Gruppe (TKKG):
Am 11.3. lief am Amtsgericht Kiel ein Verfahren gegen eine Umweltaktivistin. Der Termin endete mit einer Vertagung auf den 20.3. – dieser neue Termin wurde vom Gericht jetzt wieder aufgehoben, findet also nicht statt. Wenn es doch noch irgendwann weiter geht, geben wir den neuen Termin bekannt.
Wer am 11.3. vor dem Gericht ankam, musste sich erst mal fragen, ob es wirklich nur um einen Beleidigungs-Vorwurf ging oder ob nicht doch „Terrorist*innen“ angeklagt wären. Wir zählten 12 Wannen mit Cops vor dem Seiten-Eingang, der speziell für diesen Prozess genutzt werden musste, die Sondereinheit der Justiz „Mobile Einsatzgruppe Justiz“ (MEG) war ebenfalls vor Ort, kontrollierte, tatschte ab und schikanierte solidarische Zuschauer*innen. Sogar Zettel und Stifte und damit Zeichenmaterial wurden auf Grund der Willkür der MEG verboten (ohne Grundlage in der gerichtlichen Einlassverfügung). Gezeichnet wurde dann auf alten Zugtickets und Einkaufsbons (Zeichnungen von Dada).
Los ging es lange bevor das Publikum komplett eingelassen wurde. Die Angeklagte versuchte einen Antrag zur Herstellung der Öffentlichkeit (die nun wirklich nichts für den späten und schikanösen Einlass konnte) zu verlesen, die Richterin unterbrach und ließ erst den Strafbefehl verlesen. Die Angeklagte beanstandete das genauso wie die Einlasskontrollen und beantragte die Zulassung einer nicht-anwaltlichen Wahlverteidigung (§138 II StPO). Dies wurde von der Richterin abgelehnt mit der Begründung die gewünschte Person sei vorbestraft, obwohl darauf hingewiesen wurde, dass es auch mit 6 Monaten Strafe noch möglich sei Richter*in zu werden. Es wurde noch eine Weile um die Verteidigung gestritten, Richterin Greiff sah jedoch auch nicht die Notwendigkeit die Verhandlung auszusetzen bis die Angeklagte eine neue Verteidigung habe, sodass schlußendlich die Angeklagte unverteidigt weiter machen musste. Es folgten weitere Auseinandersetzungen um die Einschränkung der Öffentlichkeit, sodass die Richterin schließlich Zettel und Stifte explizit zuließ.
Der Staatsanwalt weigerte sich zu erklären, worin jetzt konkret die Beleidigung bestehen würde und erklärte, dass es um nichts politisches ginge (das Polizeiaufgebot ist wohl auch normal bei Beleidigungsvorwürfen?). Außerdem ging es dann noch um die Verweisung von möglichen Polizeizeugen aus dem Saal. Ein Wasserschutzpolizist war doch tatsächlich an dem Tag anwesend und hat sich als Zeuge in die Verhandlung gesetzt, ohne sich vorab als möglicher Zeuge zu erkennen zu geben – er musste dann den Gerichtssaal verlassen. Es ist schon bezeichnend, dass dies nur auf Antrag durchgesetzt wurde.
Die Angeklagte verlas dann, vom Gericht und der Staatsanwalt schon etwa eine Stunde darauf hin gedrängt, endlich ihre Einlassung, in der sie darlegte, warum sie keine Aussage machen würde: „An dieser Stelle habe ich jetzt die Gelegenheit zu einer Einlassung. Nicht zu einer Aussage. Was Angeklagte sagen, ist nämlich generell einfach nichts wert. Als Angeklagte darf ich nämlich soviel lügen wie ich will. Ganz offiziell. Das sagt natürlich alles über meine Glaubwürdigkeit. Auf Grund meiner Rolle in diesem Prozess bin ich schon per se unglaubwürdig. …Zeug*innen dürfen Aussagen machen, nicht Einlassungen. Sie dürfen nicht lügen. Dafür wird ihnen geglaubt, meist ganz unabhängig davon ob sie die Wahrheit sagen, bewusst lügen, sich richtig erinnern oder nicht. Und allen aus formellen offiziellen Strukturen wie bei der Polizei oder in dem Fall auch einer Security-Firma wird sowieso mehr geglaubt. … Wenn dann ne Kampagne für den tollen deutschen Rechtsstaat sagt, vor dem Gesetz wären alle gleich und „wir“ seien Rechtsstaat, dann kann ich darüber nur laut lachen. … Gerechtigkeit? Gleichheit? Wer‘s glaubt wird selig.“
Zur Zeugenvernehmung beantragte die Angeklagte sich ins Publikum setzen zu dürfen, weil sie die Befürchtung hatte, dass der Zeuge sie sonst allein auf Grund der Tatsache, dass sie vorne sitzt, nicht auf Grund von seiner Erinnerung, identifizieren würde. Richterin Greiff sah keine Probleme durch diese Zeugenbeeinflussung.
Bei der Zeugenbefragung wurde schnell klar, dass der Zeuge ein riesiges Belastungsinteresse an den Tag legte. Dabei widersprach er sich doch häufiger selbst, erst kamen Äußerungen aus einer Menschengruppe, dann von einer spezifischen Person. Die Frage ob er mit irgendwem über die Anzeige gesprochen hätte, verneinte er, meinte jedoch später: „Wenn meine Vorgesetzten das nicht gut gefunden hätten würden wir heute nicht hier sitzen“. Er sprach davon nichts gegen die Demonstrierenden oder ihre Ziele zu haben, nannte sie aber abwertend „Herrschaften“ oder die Angeklagte „gute Frau“, wenn er über sie redete. „Die beleidigen in dem Augenblick meine Uniform“ war ihm wichtig zu betonen. Im Grunde gehe es ihm um eine „disziplinarische Maßnahme“ mit der Anzeige. Unstrittig ist wohl, dass er ein Problem damit hatte, dass seine Autorität in Frage gestellt wurde und Menschen sich weigerten auf seine Anweisung hin weg zu gehen. Dabei war er doch in seiner Aussage der Meinung für die Durchsetzung des Versammlungsrechts auf dem Seehafen-Gelände zuständig zu sein. (Rechtlicher Hinweis: Dafür ist die Versammlungsbehörde oder als Amtshilfe die Polizei zuständig, aber niemals ein privater Sicherheitsdienst.)
Nach der Zeugenbefragung boten Richterin und Staatsanwalt die Einstellung gegen die Ableistung von 40 gemeinnützigen Arbeitsstunden an einem von der Staatsanwaltschaft zu bestimmenden Ort an. Nach einer Bedenkzeitpause lehnte die Angeklagte ab und regte an, zum nächsten Termin einen weiteren Tatzeugen zu laden. Die Richterin hielt nicht für nötig, die Aussage des einzigen persönlich involvierten Zeugen zu überprüfen und lehnte das ab.
Die Fortsetzung des Termins am 20.3. ist mittlerweile von Richterin Greiff abgesagt, wie von der Angeklagten auf Grund der Corona-Pandemie angeregt. Mehr Informationen zur Entscheidung als „dienstliche Gründe“ gab es dazu allerdings nicht.
Aktuell verlangt das Gericht auch von allen Prozessbesucher*innen das Ausfüllen von Informationsbögen und Erklärungen, dass sie nicht mit „Infizierten“ in Berührung gekommen sein, dies dürfte wohl kaum wirklich Öffentlichkeit herstellen können. Das nicht alle Prozesse abgesagt werden, bedeutet nur, dass dem Gericht Fließbandverurteilungen eben wichtiger sind. Das zeigt sich auch darin, dass die Richterin in den Pausen des Prozesses zwei Verurteilungen anderer mal eben dazwischen geschoben hatte.